Teilnehmen - Die Zivilgesellschaft ist gemeinnützig! | Campact

Die Zivilgesellschaft ist gemeinnützig!

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Nach Attac verliert auch Campact den Status der Gemeinnützigkeit. Es zeigt sich: Das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofes ist auch ein Maulkorb für die gesamte kritische Zivilgesellschaft. Denn die Richter erklärten, die Teilnahme an der politischen Debatte sei unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit. Jetzt muss die Bundesregierung ran - und klarstellen: Die Arbeit der Zivilgesellschaft ist gemeinnützig.

Unterzeichnen Sie unseren Appell!
Unsere Forderung
Appell-Empfänger*innen

an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP),
an die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP,
an die Finanzminister*innen der Bundesländer,

Kontroverse politische Debatten sind das Lebenselixier einer lebendigen Demokratie. Diese Debatten leben davon, dass alle gesellschaftlichen Gruppen ihren Argumenten Gehör verschaffen können. Bisher war das nicht nur finanzstarken Konzernen und ihren Verbänden, sondern auch gemeinnützigen Vereinen möglich.

Das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs beschneidet die Meinungsfreiheit für gemeinnützige Organisationen. Und bedroht so die Meinungsvielfalt in der politischen Debatte. Denn die Richter erklärten die Teilnahme an öffentlichen politischen Diskursen für im Grundsatz unvereinbar mit der Erfüllung gemeinnütziger Zwecke. 

Wenn sich zukünftig Vereine besorgt über die Zunahme gesellschaftlicher Ungleichheit, die Macht großer Konzerne oder Bedrohung der Demokratie durch den Rechtspopulismus äußern, riskieren sie ihre Gemeinnützigkeit und damit ihre Existenz. 

Die Folgen dieses Urteils lassen sich nur beheben, indem die gesetzlichen Grundlagen für die Gemeinnützigkeit von Organisationen grundlegend überarbeitet werden. Wir erklären uns solidarisch mit Attac und fordern: 

  • Erkennen Sie den Wert zivilgesellschaftlichen Engagements für eine lebendige Demokratie und eine ausgewogene öffentliche Debatte an, in der nicht nur Partikularinteressen von Unternehmen und Wirtschaftslobbyist/innen dominieren.
  •  Stellen Sie sicher, dass die selbstlose Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung sowie der politischen Willensbildung durch gemeinnützige Organisationen unschädlich für deren Gemeinnützigkeit ist. 
  • Erweitern Sie dafür als Sofortmaßnahme die Liste der explizit gemeinnützigen Tätigkeiten um die Förderung der Wahr­nehmung und Verwirklichung von Grund­rechten, Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Klimaschutz, informationeller Selbstbestimmung, Menschenrechten und der Gleichstellung der Geschlechter.

5-Minuten-Info

Das ist letztlich eine Folge des Attac-Urteils des Bundesfinanzhofes. Nach jahrelangem Rechtsstreit hatte der Bundesfinanzhof entschieden, dass die Kampagnen der Organisation Attac keine politische Bildungsarbeit sind. Die höchsten deutschen Finanzrichter sagten, dass politische Bildung nicht eingesetzt werden dürfe, um die politische Willensbildung zu beeinflussen.

Genau wie Attac war auch Campact wegen der Förderung der politischen Bildung als gemeinnützig anerkannt. Und wie Attac ermuntert auch Campact Menschen dazu, sich in politische Debatten einzumischen. Wir tun dies von einem klaren progressiven Wertefundament aus – wir sind zwar unabhängig und überparteilich, aber nicht politisch neutral. Aber genau dies ist nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes nicht mit dem Zweck der politischen Bildung vereinbar. Gemeinnützige politische Bildungsarbeit müsse in „geistiger Offenheit“ stattfinden, urteilte der BFH, ohne diesen Begriff genauer zu definieren. Darum hat uns das Finanzamt Berlin im Oktober 2019 schließlich auch die Gemeinnützigkeit aberkannt.
Attac kämpft inzwischen seit vielen Jahren um den Status der Gemeinnützigkeit. Anfang 2021 hat der Bundesfinanzhof zum zweiten Mal und damit endgültig die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Attac bestätigt. Damit ist der Rechtsweg für das globalisierungskritische Netzwerk erschöpft. Da die nötigen politischen Entscheidungen für eine aktive, demokratische und kritische Zivilgesellschaft ausbleiben, sieht sich Attac nun gezwungen, Verfassungsbeschwerde gegen den Gerichtsentscheid einzureichen. Wann das Bundesverfassungsgericht den Fall verhandelt und mit welchem Ausgang, ist offen.

Campact hatte aufgrund der aktuellen Rechtslage schon nach dem ersten BFH-Urteil entschieden, keine rechtlichen Schritte einzuleiten. Gemeinsam mit Attac und über 180 anderen Vereinen und Stiftungen strebt Campact in der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ nach einer Änderung der gesetzlichen Grundlagen für Gemeinnützigkeit.
Gerade für kleinere und weniger bekannte Organisationen kann der Verlust der Gemeinnützigkeit den Ruin bedeuten: Bürger*innen könnten möglicherweise weniger spenden, wenn sie ihre Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen können. Außerdem verlieren die Organisationen den Zugang zu wichtigen Arbeitsgrundlagen, für die der gemeinnützige Status die Voraussetzung ist. Beispielsweise werden sie von manchen Geldern aus Stiftungen oder vom Staat abgeschnitten, dürfen bestimmte Räume nicht mehr mieten oder Infostände in Fußgängerzonen aufbauen.

Auch für Campact hatte der Entzug der Gemeinnützigkeit Folgen: Wir haben direkt nach der Veröffentlichung des Attac-Urteils beschlossen, vorsorglich keine Zuwendungsbestätigungen für Spenden mehr auszustellen. Damit waren wir der dringenden Empfehlung unserer Steuerberater*innen und Anwält*innen gefolgt. Eine weitere konkrete Folge war, dass Campact, für die erhaltenen Großspenden (über 20.000 Euro) Schenkungssteuer nachzahlen musste.

Campact lässt sich aber nicht mundtot machen. Wir setzen unsere Kampagnen – etwa für Klimaschutz, die Agrar- und die Verkehrswende sowie gegen Rechtsextremismus – fort. Unsere Bürgerbewegung wird von über 2 Millionen Menschen getragen: Wir setzen darauf, dass unsere Spender*innen und Förder*innen uns weiter treu bleiben und sich Campact auch in Zukunft auf die Finanzierung durch Zehntausende Kleinstspenden stützen kann.
Das BFH-Urteil verstärkt die Missstände des veralteten Gemeinnützigkeitsrechts. Die Einengung des Zwecks der politischen Bildung hat weitreichende Folgen, vor allem für jene Organisationen, die im Bereich der Demokratieförderung oder der sozialen Gerechtigkeit tätig sind oder sich gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder Rechtsextremismus einsetzen. Solche Organisationen hatten sich zuvor als „Notlösung“ auf den Zweck der politischen Bildung berufen können – nun fehlt vielen von ihnen ein passender Zweck in der Abgabenordnung.

Zudem sind viele gemeinnützige Vereine verunsichert, inwieweit sie sich politisch engagieren dürfen, um in ihrem Bereich Veränderung zu erwirken. Und sie haben Angst, ihren Status zu verlieren, wenn sie sich überwiegend politisch für ihre gemeinnützigen Zwecke einsetzen würden – also beispielsweise, wenn sich ein Umweltschutzverein nur mit Petitionen, Protesten und Politiker*innen-Gesprächen für mehr Radwege oder besseren ÖPNV stark macht. Die Vereine und Initiativen werden vor eine schwierige Entscheidung gestellt: Entweder schränken sie ihre wichtige Arbeit ein oder sie gefährden ihren gemeinnützigen Status – und damit oftmals ihre Existenz.
Wir teilen die Kernforderungen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ und ihren mehr als 180 Mitgliedsorganisationen:

  1. Die Aufnahme weiterer Zwecke in §52 Abs. 2, darunter die Förderung der Grund- und Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie.
  2. Die Klarstellung, dass gemeinnützige Organisationen zur Verfolgung ihrer gemeinnützigen Satzungszwecke überwiegend und auch ausschließlich auf die politische Willensbildung und öffentliche Meinungsbildung einwirken dürfen, solange sie den vorgeschriebenen Abstand zu politischen Parteien einhalten.
  3. Die Aufnahme einer „Demokratieklausel“, die es etwa einem Sportverein ohne Gefahr für seinen Status als gemeinnützige Organisation erlaubt, sich bei aktuellen Anlässen – z.B. dem Anschlag auf eine Synagoge – gegen Rassismus oder Antisemitismus auch zu anderen gemeinnützigen Zwecken zu engagieren.
  4. Die Befreiung des Zwecks der politischen Bildung aus der Engführung des Bundesfinanzhofs. Organisationen sollen ihre eigenen Werte und Haltungen zu ihren Satzungszwecken vertreten dürfen.
Im Koalitionsvertrag hat die Ampel versprochen, das Gemeinnützigkeitsrecht an entscheidenden Punkten endlich zu verbessern. Sie hat zugesagt, „der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken“. Und sie will „klarstellen, dass sich eine gemeinnützige Organisation innerhalb ihrer steuerbegünstigten Zwecke politisch betätigen kann sowie auch gelegentlich darüber hinaus zu tagespolitischen Themen Stellung nehmen kann, ohne ihre Gemeinnützigkeit zu gefährden“.

Sollte die Ampel diese Pläne in die Tat umsetzen, wäre das ein großer Schritt für die gemeinnützige Zivilgesellschaft. So müsste der Umweltschutzverein nicht mehr um seine Gemeinnützigkeit bangen, wenn er sich mit Protesten, Petitionen und direkten Gesprächen mit Politiker*innen für mehr Radwege oder besseren ÖPNV einsetzt. Und ein Sportverein hätte endlich Rechtssicherheit, wenn er sich auch mal an Demonstrationen oder Mahnwachen zu aktuellen politischen Themen beteiligen möchte. Deswegen lassen wir jetzt nicht locker: die Ampel muss aus den Versprechen des Koalitionsvertrages möglichst schnell konkrete Gesetze machen.
Gemeinnützige Vereine wirken zwar an der politischen Willensbildung mit, sie sind jedoch nicht mit Parteien vergleichbar. Sie wollen keine politische Macht und treten nicht zu Wahlen an. Laut Abgabenordnung dürfen sie Parteien weder direkt noch indirekt unterstützen. Darüber hinaus müssen sie selbstlos arbeiten, der Allgemeinheit dienen und dürfen nur zu ihren Satzungszwecken tätig werden. In China, Russland oder der Türkei werden Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Organisationen oftmals sogar ins Gefängnis gesperrt, wenn sie die Regierung kritisieren. Davon sind wir in Deutschland zum Glück weit entfernt.

In letzter Zeit wird die Zivilgesellschaft aber auch in Deutschland immer öfter von Politiker*innen und Konzernlobbyist*innen attackiert: So hat der CDU-Bundesparteitag beschlossen, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit entziehen zu wollen. Und das nur, weil die Umweltorganisation die Einhaltung bestehender Gesetze eingeklagt hat. Auch die Gemeinnützigkeit von beispielsweise Peta und Greenpeace wird regelmäßig infrage gestellt. Ganz besonders aktiv geht die AfD mit parlamentarischen Anfragen und Gesetzentwürfen gegen gemeinnützige Organisationen vor. Dafür gibt es auf Landes- und Bundesebene unzählige Beispiele.

Deutschland darf sich nicht auf den negativen Beispielen von autoritären Staaten ausruhen, sondern muss ein Leuchtturm für freiheitliche Demokratie sein. Nur so kann Deutschland glaubwürdig von anderen Ländern mehr Demokratie verlangen und dort Menschenrechtsorganisationen unterstützen. Jede zusätzliche Einschränkung in Deutschland können autoritäre Regierungen als Rechtfertigung für ihre restriktiven NGO-Gesetze verwenden.

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